Still bleiben

Foto von Rainer Sturm (pixelio.de)

Jetzt wollen wir einmal bis zwölf zählen
und allesamt – im Angesicht der Erde –
still bleiben,
In keiner der Sprachen – sprechen;
Einen Augenblick lang innehalten
und nicht herumfuchteln mit den Armen.

Ein außergewöhnlicher Moment 
wird es sein – ohne Eile, ohne Maschinenlärm;
wir alle werden beieinander sein
in unverhoffter Fremdheit.

Die Fischer werden den Walen im kalten Meer 
keinen Schaden mehr zufügen
und der Mann, der mit seinen bloßen Händen 
Salz zusammenklaubt, muß nicht 
auf die geschundenen Hände schauen.

Jene, die zum Krieg gegen die Natur rüsten,
– Krieg mit Gas, Krieg mit Feuer,
Siege ohne Überlebende –
werden mit ihren Brüdern in reiner Kleidung 
im Schatten spazierengehen und nichts weiter tun.

Was ich ersehne, sollte nicht verwechselt werden
mit Tatenlosigkeit und Trägheit.
Worum es geht, das ist das Leben selbst;
einen Wagen voller Todeslast wünsche ich nicht.

Oh, wären wir doch nicht so zielstrebig darin,
im Leben ständig Bewegung aufrecht zu erhalten.
Falls wir einmal nichts tun können,
könnte es – vielleicht – sein, 
daß eine ungeheure Stille einbricht –
in die Traurigkeit, die Traurigkeit darüber,
daß wir uns selber nicht verstehen,
daß wir selbst es sind, die 
uns mit dem Tode bedrohen.

Vielleicht kann es die Erde uns lehren:
Auch wenn es scheint, als sei alles tot,
bald schon erweist sich – das Leben ist stärker.

Jetzt zähle ich bis zwölf und 
du bleibst still und ich verschwinde.

Pablo Neruda (1904 - 1973)
nach einer englischen Übersetzung
ins Deutsche übersetzt von Ekkehard Ortmann

♫  Helge Burggrabe, Laß deinen Mund  ♫

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