Ist der Mensch ein Ding?

Raoul Hausmann, Der Geist unserer Zeit, 1919

Ist der Mensch ein Ding, das vermessen werden kann?
Oder ist es vermessen, den Menschen wie ein Ding anzusehen
und zu behandeln?
Wie fühlt sich ein Mensch, der so angesehen und behandelt wird,
wie reagiert er darauf? Wozu führt es schließlich, wenn man ihn 
wie ein Ding behandelt und den Wert nur auf der materiellen Ebene
sieht,  in seiner Arbeitsleistung und der Rendite?

Tugend kommt etymologisch von Taugen, 
Tugenden sind Einstellungen und innere Haltungen, 
die etwas taugen
– sowohl für den Einzelnen wie auch für die Gesellschaft als ganzer. 
Tugenden zu entwickeln, ist kein Ziel der Ausbildung,
sondern der Bildung. Zwischen Bildung und Ausbildung 
besteht eben ein wesentlicher Unterschied.
Eine nur intellektuelle Bildung ist hohl. Bei echter Bildung geht es 
um die Verwirklichung des im Menschen angelegten Potentials, 
um Selbstverwirklichung:

"In jedem lebt ein Bild des, der er werden soll;
solang er dies nicht ist, ist nicht sein Frieden voll," 
formuliert Angelus Silesius.

Bildung steht also nicht im Dienst einer Nutzanwendung, 
sie bezieht ihren Wert aus einer anderen Ebene als der materiellen. 
Im Tao Te King hat Lao Tse das wunderbar ausgedrückt:

Dreißig Speichen treffen die Nabe
Die Leere dazwischen macht das Rad.
Lehm formt der Töpfer zu Gefäßen
Die Leere darinnen macht das Gefäß.
Fenster und Türen bricht man in Mauern
Die Leere damitten macht die Behausung.
Das Sichtbare bildet die Form eines Werkes.
Das Nicht-Sichtbare macht seinen Wert aus.

Die einseitige Fixierung auf das Meßbare leugnet 
das Nicht-Sichtbare und blendet so all jene Aspekte 
des menschlichen Lebens aus, die sich der Meßbarkeit entziehen. 
Das Wesentliche ist nicht zu messen, entzieht sich dem 
verengten Bewußtsein und bleibt somit unbewußt.

Tugenden, die der Entfaltung des Unsichtbaren im Sichtbaren
– des Wesentlichen – dienen, erscheinen dann als nicht mehr 
zeitgemäße und für den erfolgsorientierten Leistungsträger 
hinderliche Beschränkung.

♫  Martin Garrix & Dua Lipa, Scared To Be Lonely (Saxophon)  ♫

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